Die neue EU-Lieferketten-Richtlinie
Nach dem der deutsche Gesetzgeber das Lieferkettengesetz beschlossen hat, zieht die Europäische Kommission nach. Im Februar wurde der Kommissionsentwurf der EU-Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich Nachhaltigkeit veröffentlicht – auch “EU-Lieferketten-RL” (EU 2019/1937). Mit dieser – über die deutschen Regelungen hinausgehenden – Richtlinie werden Unternehmen verpflichtet, in ihrer gesamten Wertschöpfungskette eine Sorgfaltsprüfung durchzuführen. Darüber hinaus sollen Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsaspekte in ihre Geschäftsstrategie einbezogen werden.
Unterschiede zwischen EU-Lieferketten-RL und dem deutschen Lieferkettengesetz
Die geplante EU-Richtlinie zu Lieferketten hat einige Unterschiede zum Lieferkettengesetz. Insbesondere geht diese über die Regelungen aus Deutschland hinaus.
Im Gegensatz zur deutschen Regelung nimmt der Entwurf der Europäischen Kommission die Unternehmensleitung mit einer zivilrechtlichen Haftung in die Pflicht. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz: Lieferkettengesetz) hat eine solche zivilrechtliche Haftung noch explizit ausgeschlossen. Zukünftig ist die Haftung in deutsches Recht zu überführen.
Es ist geplant, dass die EU-Lieferketten-RL frühestens 2024 in Kraft tritt. Unternehmen sollten diese Zeit nutzen und entsprechende Vorkehrungen treffen.
Anwendungsbereich der EU-Lieferketten-RL
Anders als das deutsche Lieferkettengesetz ist der Anwendungsbereich der EU-Lieferketten-RL viel weitreichender. Neben EU-Unternehmen umfasst die Richtlinie auch Unternehmen aus Drittstaaten, die Produkte und Dienstleistungen in der EU anbieten. Im deutschen Gesetz gelten die Regelungen für Unternehmen aus Drittstaaten nur, wenn diese einen Standort in Deutschland haben.
Durch die extraterritoriale Anwendung der EU-Lieferketten-Richtlinie wird ein harmonisierter Rechtrahmen geschaffen, der für Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgt.
Im Gegensatz zum deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz definiert die EU-Lieferketten-RL restriktivere Regelungen für Unternehmen. In Deutschland gilt das Lieferkettengesetz lediglich für Unternehmen mit 3.000 und später 1.000 Mitarbeitenden. Die neuen EU-Due-Diligence-Anforderungen gelten für folgende Gruppen von Unternehmen:
- Gruppe 1: Große EU-Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens 150 Millionen Euro weltweit.
- Gruppe 2: Weitere EU-Unternehmen, die in bestimmten ressourcenintensiven Sektoren tätig sind und mehr als 250 Beschäftigte und einen Nettoumsatz von mindestens 40 Millionen Euro weltweit haben (für diese Unternehmen gelten die Regeln zwei Jahre später als für Gruppe 1).
- Unternehmen aus Drittstaaten: Unternehmen, die in der EU tätig sind und deren Umsätze in der EU denen der Gruppe 1 oder 2 entsprechen.
Übergangszeiträume gibt es in der EU-Lieferketten-RL nicht. Die Anforderungen sind zu erfüllen, sobald die Schwellen für Mitarbeitendenzahl bzw. Umsatzanforderungen überschritten werden. Die Richtlinie findet zwar auf KMU keine unmittelbare Anwendung, jedoch sind diese durch die Weitergabeklausel indirekt betroffen.
Etablierte Geschäftsbeziehung in der Wertschöpfungskette
Während das deutsche Lieferkettengesetzt “nur” die direkten Lieferketten von Unternehmen umfasst, nutzt der Kommissionsentwurf zur EU-Lieferketten-RL den weitergefassten Begriff der “etablierten Geschäftsbeziehung in der Wertschöpfungskette”. Damit werden auch Tätigkeiten erfasst, die mit der Herstellung von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen durch Unternehmen in Verbindung stehen. Das beinhaltet auch die Entwicklung oder die Entsorgung des Produkts und Tätigkeiten in vor- und nachgelagerten Geschäftsbeziehungen des Unternehmens.
Während die deutsche Regelung also auf unmittelbare Zulieferer bei “substantiierter Kenntnis” von Pflichtverletzungen auch auf mittelbare Zulieferer abzielt, kennt die EU-Richtlinie diese Unterscheidung nicht. Sie zielt einzig auf die “etablierte Geschäftsbeziehung in der Wertschöpfungskette” ab.
Sorgfaltspflichten nach der EU-Richtlinie
Folgende Sorgfaltspflichten müssen Unternehmen nach der EU-Lieferketten-RL erfüllen:
- die menschenrechts- und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten zum festen Bestandteil ihrer Unternehmenspolitik machen,
- eine menschenrechtliche und umweltbezogene Due Diligence durchführen,
- tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen auf Menschenrechte und die Umwelt identifizieren,
- solche negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt verhindern, beheben oder minimieren,
- ein Beschwerdeverfahren einrichten,
- eine regelmäßige Evaluierung (alle 12 Monate oder bei neuen Risiken) ihrer eigenen Tätigkeiten sowie ihrer Tochtergesellschaften und der Wertschöpfungsketten mit Blick auf negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt durchführen,
- die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Einhaltung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflicht überwachen;
- auf ihrer Website eine jährliche Stellungnahme zu den von der EU-Lieferketten-RL erfassten Themen veröffentlichen,
- sicherstellen, dass Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie mit dem Ziel der Bekämpfung des Klimawandels vereinbar sind.
Folgen der Nichteinhaltung: Bußgeld, zivilrechtliche Haftung und Ausschluss von Subventionen
Um die Standards zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Bereich Nachhaltigkeit durchzusetzen, werden im Richtlinienentwurf zur EU-Lieferketten-RL folgende Maßnahmen definiert:
- Beaufsichtigung durch die Verwaltung: Zur Beaufsichtigung sollen in Deutschland und den weiteren EU-Mitgliedsstaaten nationale Behörden benannt werden, die für die Überwachung und Verhängung wirksamer, verhältnismäßiger und gleichzeitig abschreckender Sanktionen verantwortlich sind. Diese Sanktionen können auch umsatzabhängige Geldbußen einschließen. Die Behörden sollen für alle Maßnahmen zur Einhaltung der EU-Lieferketten-RL zuständig sein. Um ein harmonisiertes Vorgehen zu gewährleisten, wird ein europäisches Netz von Aufsichtsbehörden eingerichtet. So soll ein koordiniertes Vorgehen innerhalb der EU gewährleistet werden. Entscheidungen der nationalen Aufsichtsbehörden über Sanktionen im Zusammenhang mit Verstößen gegen die EU-Lieferketten-Richtlinie sollen veröffentlicht werden (Naming and Shaming).
- Zivilrechtliche Haftung: EU-Mitgliedsstaaten sollen sicherstellen, dass Betroffene von Schäden, die durch die Nichtenhaltung der Vorgaben der Richtlinie entstehen, entschädigt werden. Dafür soll in den Mitgliedsstaaten ein Haftungsanspruch nach nationalem Recht eingeführt werden. Die zivilrechtliche Haftung soll auch dann anwendbar sein, wenn das nationale Recht des Mitgliedstaates grundsätzlich nicht einschlägig ist. Die im deutschen Lieferkettengesetz vorgesehene Prozesslandschaft von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Gewerkschaften und die dadurch für Betroffene geschaffenen Klagemöglichkeit ohne Kostenrisiko birgt die Gefahr einer Klageindustrie. Durch Einhaltung der Richtlinie, insbesondere in Bezug auf potenzielle negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt, kann das Haftungsrisiko minimiert werden.
- Auschluss von öffentlichen Subventionen: Durch die EU-Mitgliedstaaten soll sichergestellt werden, dass Unternehmen, die eine öffentliche Förderung beantragen, den Nachweis führen, dass keine Sanktionen gegen sie bestehen, die sich aus den Verpflichtungen der EU-Lieferketten-Richtlinie ergeben.
Management in der Verantwortung
Management, Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte werden durch die EU-Lieferketten-RL in die Pflicht genommen, um sicherzustellen, dass die Sorgfaltspflichten Teil der Unternehmensstrategie werden.
To-Dos zur Vorbereitung auf die EU-Lieferketten-RL
Der Richtlinienentwurf zu EU-Lieferketten muss noch von der EU verabschiedet und in nationales Recht umgesetzt werden. Sie wird aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen, dass das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verschärft wird. Daher sollten sich Unternehmen vorbereiten:
- Im ersten Schritt die Standards des deutschen Lieferkettengesetzes implementieren
- Einen verbindlichen Code of Conduct etablieren
- Wertschöpfungs- und Lieferketten und Lieferverträge anpassen u.a. Kündigungsrechte, Freistellungsklauseln, Vertragsstrafen und Auskunftsansprüche einführen
- Auswahl der Lieferanten optimieren hinsichtlich Zuverlässigkeit und Beschaffungsländer
- Due Diligence der bestehenden globalen Lieferketten hinsichtlich möglicher Verstöße gegen Menschenrechts- oder Umweltstandards einführen
- Neue Lieferanten bereits hinsichtlich der Sorgfaltspflichten des Lieferkettengesetzes und der EU-Lieferketten-RL prüfen
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